Wolfgang Gückelhorn und Rudolf Menacher referierten über ein belastendes Kapitel der Regionalgeschichte
Sinzig. Wie hat sich ein Thema aus der jüngeren deutschen Geschichte konkret in der heimatlichen Region ausgewirkt? Zwangsarbeit hat es in den Jahren des Zweiten Weltkriegs von 1939 bis 1945 in großem Umfang überall in Deutschland gegeben, auch im Kreis Ahrweiler. Der Förderverein Denkmalpflege und Heimatmuseum in Sinzig hat deshalb dieses Thema für das erste Turmgespräch in diesem Jahr gewählt und nicht ohne Absicht in die Nähe des Gedenktags zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar vor 80 Jahren terminiert.
Militärhistoriker Wolfgang Gückelhorn und Museumsmitarbeiter Rudolf Menacher haben zahlreiche Quellen ausgewertet und konnten so im Schloss Sinzig eine umfassende Beschreibung der Zwangsarbeit unter nationalsozialistischer Herrschaft an Rhein und Ahr präsentieren. Wie sich in der Fragerunde am Schluss herausstellte, gibt es aber immer auch noch etwas Neues zu erfahren wie persönliche Erinnerungen aus der Zuhörerschaft. Der Förderverein will deshalb in absehbarer Zeit zu einer Gesprächsrunde zum Thema einladen.
Rudolf Menacher hat zum Schwerpunkt seiner Ausführungen die Situation der Zwangsarbeiter in Kleinbetrieben, in der Landwirtschaft und in Familien einerseits und in der Plattenfabrik – ab 1943 Agrob – andererseits gemacht. In jedem Dorf im Kreis Ahrweiler hat es demnach Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen gegeben - gerade hier war der Frauenanteil hoch. Symbolisch dafür stand ein fast heiter wirkendes Bild einer Gruppe junger Frauen aus der Ukraine, die im Kloster Maria Laach als Küchenhilfen im Lazarett arbeiten mussten. Tatsächlich waren die Bedingungen für die Kriegsgefangenen in den Kleinbetrieben und Bauernhäusern mehr oder weniger erträglich, wenn sie auch abends in von der Wehrmacht bewachte Lager einrücken mussten. In Sinzig befand sich das Hauptlager in der Halle eines Geschäftes am heutigen Kaiserplatz, auch die Standorte der anderen Lager sind bekannt.
Die Sinziger Plattenfabrik hatte ein eigenes mit Stacheldraht umgebenes Lager auf ihrem Firmengelände. Die Zwangsarbeiter hatten hier überwiegend schwere Arbeiten zu verrichten. Rudolf Menacher konnte das mit einer ergiebigen Quelle belegen: Anträge der Fabrik beim Ernährungsamt Ahrweiler auf Schwerarbeiterzulagen führen die Zwangsarbeiter mit Namen, Geburtsdatum, Geburtsort und Beruf auf. Anfangs waren 131 Franzosen dort, ihnen folgten 130 Russen, dann kam eine Gruppe indischer Moslems, Angehörige der britischen Streitkräfte, die durch ihren Turban auffielen und damit, dass sie einen Imam hatten, der nicht arbeiten musste. Das haben Zeitzeugen berichtet. Die Zwangsarbeiter wurden je nach Herkunft unterschiedlich versorgt und behandelt. Es gibt deutliche Hinweise, dass die Ernährung nicht ausreichte und zahlreiche Zwangsarbeiter arbeitsunfähig wurden. Denn die Nationalsozialisten wendeten ihre Rassenideologie auch bei den Zwangsarbeitern an. Britische, und französische Kriegsgefangene wurden nach den Vorschriften der Genfer Konvention behandelt, für polnische und sowjetische Kriegsgefangene galt das nicht. KZ-Häftlinge waren ohnehin vollkommen rechtlos. Insgesamt gab es, wie Rudolf Menacher anfangs berichtete, im September 1944 rund 7,5 Millionen Zwangsarbeiter im Deutschen Reich (Grenzen von 1937), davon 5,25 Millionen Menschen aus dem Zivilleben, 1,75 Millionen Kriegsgefangene und eine halbe Million KZ-Häftlinge.
Wolfgang Gückelhorn, der schon zahlreiche Veröffentlichungen zum Kriegsgeschehen aus militärhistorischer Sicht verfasst hat, beschrieb an Hand eindrucksvoller Details das „Lager Rebstock“ bei Dernau und Marienthal, eine Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald. In den Tunneln der nicht vollendeten strategischen Eisenbahn aus der Zeit des Ersten Weltkriegs sollten Rüstungsbetriebe die sogenannten Vergeltungswaffen produzieren. Während die Firma Gollnow & Sohn die Bodenanlagen für die erste funktionsfähige ballistische Rakete (V2) herstellte, produzierte ein Ableger des Volkswagenwerks den ersten militärisch eingesetzten Marschflugkörper (V1). Zuvor richtete eine ortsansässige Baufirma mit Hilfe von fast 1000 Zwangsarbeitern die Tunnel für die Fertigung her. Das Heer der Zwangsarbeiter setzte sich unter anderem zusammen aus niederländischen SS-Frontkämpfern, die im Russlandfeldzug auf deutscher Seite gekämpft hatten, italienischen Militärinternierten und niederländischen Häftlingen aus dem KZ Amersfoort. Ab September 1944 leisteten 520 Häftlinge aus den Konzentrationslagern Buchenwald Zwangsarbeit.
Die Arbeitsbedingungen in den Tunneln waren hart. Wer körperlich nicht mithalten konnte, verschwand spurlos. Im November 1944 musste die Produktion nach Thüringen verlegt werden, weil die alliierten Truppen sich näherten und die Zahl der Bombenangriffe zunahm.
Insgesamt, so konnten Gückelhorn und Menacher anhand belegter Zahlen nachweisen, leisteten mindestens 3000 Menschen im Kreis Ahrweiler Zwangsarbeit. Wahrscheinlich waren es aber bedeutend mehr.
Viel Stoff für eineinhalb Stunden Vortrag, von den Referenten engagiert, detailreich und übersichtlich vorgetragen. Es war Stoff zum Nachdenken und Verarbeiten, deshalb endete der Abend auch in einer Mahnung an jeden Einzelnen. Sowohl die beiden Referenten wie auch Agnes Menacher, die als stellvertretende Vorsitzende und Museumsleiterin moderierte, war es ein Anliegen: aus der Geschichte der Diktaturen lernen und Freiheit und Demokratie verteidigen und sichern helfen.
BILDZEILE
Rudolf Menacher (links) und Wolfgang Gückelhorn präsentierten umfassende Informationen zur Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg. Foto: Denkmalverein/Matthias Röcke